Die Bedeutung körperorientierter Therapien & Meditationen – Eine Sicht des Tibetischen Buddhismus – Teil 1
16. Januar 2022Achtsamer Yoga in der Arbeit mit Depressionen
24. Mai 2022Die Bedeutung körperorientierter Therapien & Meditationen – Eine Sicht des Tibetischen Buddhismus – Teil 2
Teil 1 siehe: https://www.facebook.com/nirvanayogatherapie/posts/2766294230214042
Der Ruf des Körpers
Die meisten Menschen werden durch eine persönliche Krise motiviert umzukehren, oder etwas Grundsätzliches in ihrem Leben zu verändern. Nach dem tibetischen Buddhismus ist jede Krise ein Ruf unseres Körpers, umzudrehen und zurückzukehren. Eine persönliche Krise kann sich durch äußere Umstände, wie eine Trennung, den Verlust des Arbeitsplatzes oder eines geliebten Menschen entwickeln, jedoch auch durch innere Umstände wie durch eine Verletzung, eine Krankheit, den Prozess des Alterns, eine Depression, durch Angst oder Panik, etc. Aus Sicht des Buddhismus ist nichts zufällig. Unsere Krise will uns etwas mitteilen, und zwar genau das, was JETZT wichtig für uns ist. Genau JETZT will etwas aus dem Körper in die Bewusstwerdung drängen. Und vielleicht sind wir JETZT bereit, uns für etwas Neues zu öffnen. Für etwas ganz Wesentliches. Unser Körper oder unser Soma inspiriert uns dazu, den Versuch zu unternehmen, unsere Verkörperung wiederzuerlangen. Verkörperung bedeutet hier „Verwirklichung“. Man kann auch sagen, dass „Verwirklichung“ das Resultat einer fortschreitenden Verkörperung ist. Oder noch anders ausgedrückt: der Weg zu uns selbst ist ein Weg in den Körper, in das Soma. Der Körper stellt unser wahres Selbst dar, nicht das wofür wir ihn halten und nicht das, was wir über ihn denken, sondern das, was wir wirklich sind. Er beinhaltet unsere gesamte Existenz, Bewusstes wie Unbewusstes, unsere Ganzheit und Göttlichkeit.
Im Buddhismus heißt es, wir sollen unser Leben „zum Pfad“ machen. D.h. alles, was uns widerfährt, ist ein Teil unserer Reise zur Verwirklichung. Alles in unserem Leben ist ein Lernprozess, einschließlich unserer Fehler. Deswegen sollen wir dem Leben und allem was es mit sich bringt vertrauen, auch wenn dies schwierig erscheint.
Was bedeutet, mit dem Körper meditieren?
In der tibetischen Tradition ist die Körperarbeit die Basis der Meditation. Der tibetische Buddhismus lehrt verschiedene somatische Mediationen (Körpermeditationen). Es sind fortgeschrittene, esoterische Meditationspraktiken, die von Einsiedlern bzw. von in einsamer Klausur lebenden Männern und Frauen praktiziert wurden.
In diesen Meditationen wenden wir uns dem Körper zu, d.h. wir lenken unsere Aufmerksamkeit auf ihn und öffnen Stück für Stück unser Gewahrsein für ihn. Dies muss in einer Regelmäßigkeit geschehen. Wir brauchen dafür Ausdauer und eine innere Verpflichtung. Es ist so, als wollten wir einen neuen Menschen kennen lernen. Stück für Stück tasten wir uns an ihn heran, lernen ihn kennen und verstehen.
Mit fortschreitender Praxis entdecken wir, dass sich unsere Anspannungen oder Schmerzen lockern und lösen und wir mehr Raum wahrnehmen können. Wir erkennen, dass unser körperliches oder psychisches Problem zu einem allgemeinen Gefühl der Abtrennung und des Leidens geführt hat, die wir im Körper spüren können.
Man könnte auch sagen, unser „Problem“ beginnt sich uns auf eine „aktive“ Art und Weise mitzuteilen und dadurch empfangen wir heilende und transformierende Informationen, die wir früher niemals zur Kenntnis genommen oder auch nur für möglich gehalten haben. Durch verschiedene Übungen lernen wir, unseren Körper wieder zu bewohnen. Es geht dabei aber nicht um bestimmte Techniken, es geht mehr um die Fokussierung unseres Bewusstseins auf neue Bereiche.
Dies kann anfangs überaus subtil geschehen, so, dass wir es vielleicht kaum spüren. Doch irgendwann merken wir, dass etwas Neues auf uns zukommt. Wir erlangen immer mehr Klarheit und erkennen, dass das was uns niederdrückt, aus der Perspektive der Meditation gesehen eine Lernsituation ist, die uns große Möglichkeiten bietet. Wir spüren, dass wir mit unserer Meditation den Körper eingeladen haben, uns bestimmte Dinge zu zeigen. Im Laufe der Meditationen gelangen wir allmählich zu einem Gewahrsein, das tatsächlich IN unserem Körper angesiedelt ist - und nicht in unserem Kopf. Wir Lernern nicht, anders zu handeln, sondern anders zu sein.
Schritte auf dem Weg in die Verkörperung
Hier ein kurzer Einblick über verschiedene „Stationen“ der somatischen Praxis:
An dieser Stelle muss gesagt werden, dass der Prozess für jeden anders sein kann. Und dass es schwierig ist, mit Worten zu beschreiben, was wir in der Meditation erleben.
Das Unbehagen
Auf der Reise in den Körper begegnen wir auch dem Unbehagen. Unbehagen ist oft das erste, was auftaucht. Wer regelmäßig meditiert weiss, dass Unbehagen ständig auftaucht.
Das Unbehagen möchte untersucht werden. Es ist das von der Oberfläche ins Unbewusste, in den Körper verdrängte. Es ist jedoch ein Zeichen von Leben und Intelligenz. Ein Aufsteigen von Energie und Vitalität in unserem Sein. Warum wir es als „Unbehagen“ bezeichnen hat damit zu tun, dass es uns zu intensiv, zu stark erscheint. Das Ego findet Dinge unkomfortabel, wie alles, was es nicht kontrollieren kann.
Wie damit umgehen?
Es mag sich physisch in Kälte oder Wärme äußern, in Müdigkeit, wir fühlen uns aufgeputscht, fühlen Angst, haben unerfüllte Erwartungen, etc. Während wir unseren Körper in der Meditation beobachten, merken wir, dass das Unbehagen sich im Laufe der Praxis verändert. Es ist nichts Statisches, es ist eine Interpretation. Der tibetische Buddhismus sagt: „Wenn du die verschiedenen Ebenen des Unbehagens erforschst, entdeckst du eine mächtige Kraft des Sprechens und Sehens … Studiere das Unbehagen, meditiere darüber, lasse dich darauf ein, öffne dich dafür und schau, wohin es dich leitet. Du bist auf dem Weg.“
Fühlen und wahrnehmen ALS der Körper
Abschließend ist für die Praxis all dieser Übungen noch einmal zu sagen, dass es wichtig ist, das Denken des Tagesbewusstseins auszuschalten. Wir wollen nicht mehr über den Körper nachdenken, sondern fühlen und wahrnehmen als der Körper. Es geht darum, dem Körper zuzuhören und herauszufinden, was er uns zu sagen hat. Jedoch nicht mit unserem Ego. Der Körper ist sehr viel lebendiger, wacher und bewusster als unser Ego. Der Körper will mit uns kommunizieren uns so ist es unsere Aufgabe, den Raum für Stille und einen Dialog zu schaffen. Das Soma möchte uns helfen, ein besseres, größeres Leben zu leben.
Einlassung auf den Prozess
Dies erfordert natürlich eine kontinuierliche Praxis. Wenn unser Geist immer wieder abschweift und wir uns in unseren Gedanken verlieren, so sei daran erinnert, dass es die Natur des Geistes ist, mal hier, mal da zu sein. Der Geist muss wie ein kleines Kind erzogen werden. Die Praxis besteht immer wieder darin, sich des umherwandernden Geistes bewusst zu werden und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit wieder zurück zum Gegenstand der Meditation, hier vor allem zum Körper, zu lenken.
Vor allem in der jetzigen Zeit der Körperentfremdung (s. Teil 1 dieses Artikels) finden viele Menschen den Zugang zur Stille und Meditation sehr schwierig, weil unsere Welt komplett anders, nämlich nach außen, und nur auf den sichtbaren Aspekt der Realität ausgerichtet ist. Nur eine aufrichtige Einlassung auf die Meditation und viel Geduld beim Praktizieren sind nötig. Vielleicht müssen wir erst einmal akzeptieren, dass gar nichts spürbar ist. Vielleicht sogar für längere Zeit.
Doch die kontinuierliche Praxis lohnt sich: Wir werden unseren Körper wieder als eine Quelle von Intelligenz, Weisheit und Intuition erfahren. Und in diesem Prozess werden wir die Vorstellungen über den Körper und unser Leben sterben lassen.
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Inspiration & Quellen:
Reginald A. Ray